Vietnam, 19. Mai - 21. Mai 2023
Fahrt von Hanoi nach Südlaos
Ich sitze heulend auf dem Bahnsteig im Hauptbahnhof Hanois Karli fragt ob ich mich nicht auf die nahegelegene Bank setzten möchte, aber ich schüttle nur den Kopf und schluchzte weiter vor mich hin. Mein Kopf sagt nur noch "ich will nicht mehr". " ich will nicht mehr". " ich will nicht mehr".
Wir hatten unseren Zug verpasst. Aber ehrlicherweise war das auch nur der Ausbruch des Vulkans, unter der Oberfläche hatte es schon eine ganze Weile angefangen zu brodeln. Ich habe eine Selbstkrise, eine Beziehungskrise, eine Reisekrise, eine Alles-Kriese. Ich will einfach nicht mehr.
Visa Probleme
Aber nun von vorne. Ich glaube angefangen hatte es schon 4 Wochen vorher, in Laos, als wir wegen vietnamesischen Visumsproblemen eine Woche in der kleinen langweiligen Stadt Sam Neua eingesperrt waren. Das die Stadt untouristisch war, hat Karli und mich nicht gestört, aber aufgrund der Hitze und der Luft draußen waren wir quasi in diesem Hotelzimmer gefangen (siehe den Absatz über Sam Neua in diesem Beitrag).
Zum zweiten hatten die Visumsprobleme zur Folge, dass wir erst eine Woche später einreisen konnten und diese Woche nicht zurück bekommen haben. Das heißt statt 4 Wochen hatten wir nur 3 Wochen in Vietnam. Zunächst dachten wir, dass sei kein Problem, da wir einfach das Visum verlängern können. Wir haben viel getan und versucht das Visum zu verlängern: Wir haben Stunden im Internet recherchiert und fünf Visaagenturen in Vietnam angeschrieben. Schlussendlich mussten wir einsehen, dass es zurzeit keine Visa Verlängerung gibt. Vor COVID war das möglich, aber jetzt zurzeit nicht.
Die einzige Möglichkeit weiter in Vietnam zu bleiben ist ein "Border Run". Bei einem Border Run reist man zur Grenze, reist aus dem Land aus, ins Nachbarland ein und dann wieder zurück. Leider braucht man für das Land in das man "einreist" auch wenn man nur wenige Minuten dort ist, auch ein Visum. In unserem Fall ist Laos am nächsten, das Laotischen Visum kostet ungefähr 40€ . Damit ist es ja nicht getan, man muss noch irgendwie zur Grenze und zurück (circa 50-100€) und braucht auch noch das Vietnamesische Visum. Also so 100 bis 150 € pro Person für den ganzen Spaß. Das zweite Ding ist, man muss ja auch noch zur Grenze kommen. Auf der Karte sieht alles so super nah dran aus. Allerdings verlängern die Berge und die wenig frequentierte Route die Reisezeiten um ein Vielfaches. Tatsöchlich ist von Hanoi aus die nächstgelegene Grenze, diejenige über die wir nach Vietnam eingereist sind. Luftlinie gerade mal 150 km. Bei unserer Einreise haben wir für die lächerlichen 150 km Luftlinie allerdings gute 11 Stunden gebraucht. Darauf haben wir wirklich keine Lust. Wir recherchieren zu anderen Grenzen. Das Problem ist, dass jede von denen irgendwie eine Krux hat - lange Reisezeiten oder dass wir online keine Busse dort hin finden oder oder oder.
Verbunden damit ist auch noch die Frage welche Orte in den verbleibenden 1,5 Wochen in Vietnam noch sehen wollen. Für beides haben wir dutzende Varianten aufgestellt, diskutiert und wieder verworfen. Wir haben 5 verschiedene Reiserouten für die kommenden 10 Tage durchgespielt, - jede von denen hatte Reisezeiten von circa 50 Stunden. Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Tatsächlich wurde uns von einer Visaagentur geraten einfach einen Flug nach Bangkok und zurück zu buchen (das hat er uns empfohlen, obwohl er damit kein Geld verdient im Gegensatz zu der ersten Alternative die er uns genannt hat). Ein Border run mit dem Flugzeug wäre sehr viel angenehmer und sogar günstiger gewesen. Leider hatten wir uns vorgenommen nur zu fliegen, wenn es nicht anders geht. Wir hätten uns wirklich viel erspart, wenn wir uns für den Weg entschieden hätten.
Schattenseiten
Neben diesen Gründen warum, gibt es noch ein paar andere Dinge, die uns permanent begleiten. Über die haben wir noch nicht geschrieben, Am Schluss kann man in einen Block immer nur ein Bruchteil von dessen erzählen, was hier hier alles am Tag passiert, was wir erleben, sehen und erfahren.
Die Momente, die selten in Blogs erwähnt werden, sind die negativen und schwierigen Momente auf reisen.
Reisen ist anstrengend
Es ist verrückt sein ganzes Leben in einem Rucksack zu haben. Der ist einfach so klein. Und wir sind jeden dritten oder vierten Tag dabei die Sachen auspacken und wieder einpacken. Und man hat keine Routinen. Ich hätte nicht erwartet, das mir mal Routinen fehlen, aber jeder Tag hier ist anders und manchmal fehlen mir einfach die Konstanten. Ständig muss man sich auf eine neue Ort einstellen: wo bekomme ich was? Wo bekomme ich unverpacktes Trinkwasser her? Wo finde ich gute Restaurants? Was ist hier das Preisniveau? Wie komme ich von hier zur meinem nächsten Reiseziel?
Hitze
Es ist unglaublich, unglaublich heiß hier. Also unbeschreiblich. Also die heiße Jahreszeit in Vietnam ist immer heiß. Die Youtuberin Uyen sagt hierzu in einem Video "Vietnamese sun is melting your skin Off." Übersetzt ins Deutsche: "Vietnamesische Sonne schmilzt die Haut weg." (das Video Minute1:30 geht übrigens über Dating Kultur der Deutschen).
Und dieses Jahr ist es besonders schlimm. Zumindest sagen das die Medien (Artikel vom Spiegel). Sobald man rausgeht zerfließt man, und nach 20 Minuten in der Stadt bin ich einfach fix und fertig. Das macht keinen Spaß. Man ist irgendwie gefangen. Ich bin nicht hier um auf dem Sofa zu liegen oder ein kühles Getränk nach dem nächsten zu schlürfen! Ich will was sehen! Ich will was erleben! Ich will Leute kennen lernen! Ich will die Welt sehen!
Karli und ich am streiten
Was wir hier bisher auch nicht erwähnt haben, ist das Karli und ich uns seit einer Weile andauern streiten. Unser wirkliches Problem ist allerdings, das wir nicht verstehen warum wir uns streiten. Wir streiten über total kleine und unwichtige Dinge. Bisher konnten wir uns - nachdem die Gemüter wieder abgekühlt waren - immer zusammensetzen und in Ruhe über die Gründe und Ursachen des Streites reden. Aber hier versteht keiner von uns beiden warum wir uns streiten. Das ist schrecklich, weil das man keinen Ausweg hat und damit nicht die Hoffnung, dass man das nächste mal einen anderen Ausweg außer Streiten findet.
Fear of missing out - FOMO (deutsch: Angst, etwas zu verpassen)
So viele Dinge die man sehen will und am Schluss muss man eine Auswahl treffen, was man sehen kann. Dabei gibt es so viele Entscheidungen die man treffen muss. Und dann gibt es da dieses Phänomen, dass ich bei mir beobachtet habe. Man sieht in Instagram und in anderen sozialen Medien so viele tolle Dinge, die andere Menschen erleben. Und schaut auf sein eigenes Leben und denkt sich "fuck, mein Leben ist schon langweilig. Jeder andere hat ein spannenderes/ tolleres/ glücklicheres Leben als ich". Für euch mag das jetzt vielleicht seltsam klingen, aber tatsächlich ist man selbst beim Reisen davon nicht gefeit. Das ist verrückt oder? Aber auch hier sieht man die Bilder von anderen und hört deren Geschichten und denkt sich dabei "maaaannnn, das will ich auch! Und dann schaut man auf seine letzten Monate reisen zurück und denkt sich, man war das langweilig im Vergleich zu dem was xzy erzählt. Ach ich hätte lieber da oder da hingehen sollen und dies oder jenes machen sollen."
Es hilft nichts, erstmal weiter nach Laos
Zurück zu dem Moment, wo ich heulend auf dem Bahngleis sitze. Jetzt wisst ihr warum ich da heulend sitze. Der verpasste Zug war nur die Schleuse um den inneren Wasserfall zu öffnen, der sich die vergangenen 4 Wochen angestaut hatte. Aber es hilft nichts. Unser Visum lief aus, wir müssen aus dem Land raus. Während ich noch am heulend auf dem Boden saß, Karli hat sich zum Glück erstmal um die weiter Planung gekümmert. An dem Abend fuhr kein weiterer mehr bis zu unserem ursprünglichen Ziel. Ich habe oben ja schon erklärt, dass wir uns lange Zeit überlegt hatten, wo wir unseren Border run machen. Schlussendlich hatten wir und dafür entschieden für vier, fünf Tage in Laos Süden zu reisen. Das hat zwar eine sehr lange Anreise. Aber die Vorteile waren gut. Erstens waren wir in Südloas noch nicht. Zweitens können wir einen Teil mit dem Zug fahren, die sind angenehmer als Busse und drittens sind da weniger Berge, sodass die verbleibenden Busfahrten nicht so haarsträubend sind.
Unser ursprüngliche Plan war mit dem Zug in das 11 Stunden entfernte Stadt Dong Ha fahren. Da nach einem Bus suchen, der uns über die Grenze in die laotische Stadt Pakse fährt. Was vermutlich weitere 10 Stunden brauchen würde.
Die Odysee fing an mit dem verpassten Zug....
An dem Abend fuhr kein weiterer mehr bis zur Stadt Dong Ha. Nur noch ein Regionalzug zu einer Stadt auf halber Strecke. Den haben wir genommen, mussten dann da auf den nächsten Zug 6 Stunden warten. Schlussendlich waren wir 10 Stunden später, um 7Uhr abends, in unserem Zwischenziel Dong Ha. Hier haben wir eine Nacht gepennt. Hier ist alles eher untouristisch und außerdem Nebensaison. Wir suchen überall nach einer organisierte Überfahrt bis zur Stadt Pakse, unser Ziel in Laos: Wir suchen nach dieser Busverbindung auf 4 verschiedene Online-Portalen; wir schreiben zwei Busunternehmen an, sogar ein Hostel an unserem Ziel bitten wir um Hilfe. Keine Chance. Es ist Nebensaison und die ganzen Touristenbusse fahren nicht. Also auf eigene Faust, was bedeutet: einen lokalen Busbahnhof ausfindig machen und sich dort durch fragen. Es ist immer abenteuerlich rauszufinden, wo man zu welchem Zeitpunkt hin muss. Die Leute können kein Englisch und auch Google Maps ist nicht hilfreich. Hier in Dong ha finden wir zum Beispiel in Google Maps 20 Busbahnhöfe, wobei 95 Prozent davon halt in Wirklichkeit keine Busbahnhöfe sind. Es war anstrengend rauszufinden, wo wir hin müssen, aber wir schaffen es. Am nächsten morgen um 7 Uhr sitzen wir in einem kleinen Minivan zur laotischen-vietnamesischen Grenze. Kleines Detail am Rande: auf der zweistündigen Fahrt waren wir umringt von 20kg Kartons/Säcke. Und in diesen Kartons war Büffelfleisch. Ohne Knochen, Halal geschlachtet, tiefgefroren haltbar bis April 2024. Jap, ihr habt richtig gelesen Fleisch. Ungekühlt. Die meisten Kartons waren hinter uns, aber es waren auch ein paar zu unseren Füßen.
Und endlich sind wir an der Grenze angekommen! Gerade an den Grenzen wird man gerne beschissen. In der Regel muss man irgendwelche extra Gebühren bezahlen - wobei man nie so genau weiß, welche der Gebühren "richtig" ist und wo du du den Beamten Kaffeegeld bezahlst. Am besten Einheimische beobachten und vorher die Google Maps Rezessionen von den Grenzen lesen. Und dann wenn du tatsächlich nach Bestechungsgeld gefragt ist, dann ist ein "leeres" Portmonee Gold wert. Also einfach ein weiteres Portmonee bereit haben, in dem nur zwei kleine Scheine sind, die zusammen weniger als ein Euro wert sind.
Auf laotischer Seite sind wir dann in einen lokalen Bus eingestiegen. Der Unterschied zwischen Vietnam und Laos war sofort wieder spürbar. In den einheimischen Bussen in Laos werden immer sowohl Menschen als auch Waren transportiert. Diesmal war die komplette hintere Hälfte des Busses mit Kisten belagert und auch der Gang war voller Kisten. Auf dem Dach sind weitere Kisten. Und außerdem haben wir eine Ziege auf dem Dach. Auf den Kisten im Gang sitzen Menschen, weil alle Sitzplätze belegt sind. Die Klimaanlage fehlte gänzlich. Als Ersatz war die Tür permanent offen. Der leichte Windzug war sehr angenehm. Und die offene Tür auch nicht weiter gefährlich, weil die Maximalgeschwindigkeit dürften so 50km/h gewesen sein dürften. Berg hoch sind wir auf Schrittgeschwindigkeit abgesunken.
Wir mussten noch einmal umsteigen: in Savannakeht nach Pakse, einen weiteren Bus. Schlussendlich kamen wir nach 19 Stunden fahrt um Mitternacht in Pakse an. Der Busfahrer hat uns an einem Busbahnhof 7 Kilometer vor der Stadt rausgeschmissen. Das wussten wir vorher nicht und es macht keinen Spaß um Mitternacht in einem fremden Land an einem menschenleeren Busbahnhof zu stehen, aber es half auch nichts. Zum Glück war da noch ein TukTuk Fahrer, der uns in die Stadt gefahren hat.
Auch wenn die Fahrt eine absolute Tortur war, habe ich sie im nachhinein sehr genossen. Zum einen weil sie mir die Möglichkeit gegeben hat nachzudenken, während die Landschaft an mir vorbei zieht. Zum anderen glaube ich, das dieses von Touristenort zu Touristenort mit Touristenbussen zu fahren irgendwie... mir nicht das gibt was mich lebendig fühlen lässt. Bei Reisen, wie in den vergangenen zwei Tagen spüre ich das Abenteuer und Lebendigkeit, Land und die Leute.
Allerdings sind solche Reisen auch wirklich wirklich außerhalb meiner Komfortzone. Anders formuliert: sobald mein Gehirn die Wahl hat zwischen einem sicheren Touristenbus und einer Fahrt wie die letzten zwei Tage will es sich immer für den Touristenbus entscheiden. Es fühlt sich an wie.... ok, stell dir vor, du bist im Freibad und willst ins Wasser. Da gibt es die Treppe ins Wasser und es gibt das 10 Meter Brett. Und natürlich nimmst du die Treppe, weil die hast du schon so oft genommen, die ist sicher. Das weißt du. Die Treppe kennst du. Und dann denkst du daran, dass du auch vom 10 Meter Brett springen könntest. Schon beim Gedanken daran, fängt dein Gehirn durch zu drehen und Gründe dafür zu sammeln, warum das die aller aller schlechteste Idee deines Lebens ist. Das diese Idee einfach selbstmörderisch ist. Und gleichzeitig weißt du, der Sprung vom 10 Meter Brett wäre es unglaublich fantastisches, Abenteuer pur, die Erfahrung deines Lebens. Übertragen auf unsere Reise ist die Treppe in das Schwimmbecken die Fahrt mit dem zu den üblichen Orten, die auch andere Touristen besuchen mit den komfortablen Bussen. Der Sprung vom 10 Meter Brett steht für die sind die Reisen abseits der üblichen Pfade. Sowas wie die letzten zwei Tage. Jedes Mal wenn wir abseits der komfortablen Zone waren, war es eine der fantastischsten Erlebnisse überhaupt, aber es war unglaublich schwer den Mut dafür zu finden. Im Falle der Fahrt nach Laos hatten wir keine andere Wahl, weil es keine Treppe ins Schwimmbecken gab und wir gezwungen waren ins kalte Wasser zu springen. Es hat sich definitiv gelohnt. Aber ich weiß genau, wenn ich das nächste Mal wieder vor der Wahl "Treppe" oder "10 Meter Brett" stehe, wird mein Gehirn mir sagen, "nimm die Treppe" und mir sehr sehr viele Gründe aufzählen, warum alles andere Lebensmüde ist.
Ich würde gerne noch aufzählen, welche Gründe mein Gehirn immer so gegen das 10 Meter Brett vorbringt. Aber ich glaube der Beitrag ist schon lang genug. Das reicht für heute, vielleicht ein ander mal.
📷 weitere tolle Bilder findest du im Fotoalbum
P.S. ich hoffe wir haben bis nächste Woche Donnerstag den nächsten Beitrag fertig, kann es aber gerade noch nicht versprechen. Wenn nicht sehen wir uns in zwei Wochen wieder!
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